Kürzlich gab es in meiner Nachbarschaft einen kleinen Aufruhr. Autos,
die gerade von der Fähre aufs Festland gefahren waren und nun ihren Weg
fortsetzen wollten, wurden an einer Kreuzung aufgehalten von etwas, das
wir ein Flummi wutschnaubend auf dem Zebrastreifen herumsprang und
unartikulierte Laute ausstieß. Ja, ich gebe zu, manchmal geht es auch
mit mir durch. Grundsätzlich bin ich für meine Verhältnisse geradezu
unermesslich stoisch, wenn es um die Anliegen, Bedürfnisse, Forderungen
und Tobsuchtsanfälle meines Kleinkindes geht. Das sagt sogar meine
Mutter - und die kennt mein Temperament besser als die meisten anderen.
Aber
alle zwei Tage gibt es so einen Moment, da muss es raus. Und dann
unterscheide ich mich wenig von meiner Rumpelstilzchen-Tochter. Die Auslöser sind meist banal, manchmal sogar lustig. Aber
wehe, einer lacht! Es ist, wie beim Nudelnkochen. Ich schaffe es, auch
nach 25 Jahren Praxis immer noch regelmäßig (sehr zur Freude meines
Mannes), den Herd so einzustellen und das kochende Wasser solange zu
vergessen, dass es unter dem Glasdeckel in großen salzigen Blasen
hervorblubbert und das Ceranfeld überschwemmt. Aber ich schweife ab...
Der
Auslöser für meinen denkwürdigen Auftritt vergangene Woche war ein
Spängchen, fliederfarben, auf schwarz-weiß-gestreiftem Asphalt. Das
Spängchen meiner Tochter, das eigentlich in ihrem Haar zu stecken hatte.
Das Spängchen, das sie aber dennoch seit zehn Minuten in der Hand
trug. Der Hand, mit welcher sie mich am lang ausgestreckten Arm auf
Besonderheiten hinwies, während wir so an der stark befahrenen
Hauptstraße entlangflanierten. Ihre andere Hand steckte in meiner.
"Mama, nicht so ziehen!" "Kind, die fahren dir gleich den Arm ab,
wenn du ihn weiter so auf die Fahrbahn hältst."
Ich wiederrum navigierte mit meiner freien Hand ein Gefährt, für das wir mittlerweile dorfweit bekannt sind. Die Farbe ist zitrusgrün - würde ich sagen - es hat drei Räder, eine Schubstange mit Täschchen, wenn man will ein Sonnendach und ein integriertes Handy, das sieben bis zehn Melodien abspielt. An der Schubstange hing wiederum eine dieser dünnen günen Plastiktüten, wie man sie beim Gemüsemann bekommt. Denn wir kamen gerade vom Gemüsemann. In dieser Tüte lagerten zwei Schälchen erntefrischer Erdbeeren aus der Region - sehr reif - und der Apfel, den sich meine Tochter dort immer aussuchen darf.
Zusammengenommen entsprach das Gewicht so sehr dem Vorderbau des Dreirads, dass es gerade noch aufrecht stehen blieb. Am sinnvollsten wäre ja nun gewesen, meine Tochter mit ihren 15 Kilogramm Lebendgewicht auf den Dreiradsitz zu komplementieren - allein: "NEIN! Ich will laufen!!" Zur mangelnden Energie, mich an dieser Stelle durchzusetzen, gesellte sich eine gewisse Überhitzung meinerseits. Mal wieder eher der Wettervorschau geglaubt, die Regen und 14 Grad vorausgesagt hatte, als dem Blick in dem sonnigen Himmel, war ich mit meiner Softshelljacke etwas überausgestattet. Und wollte nur noch schnell heim.
Transpirierend und Fragen zu einem Plakat beantwortend, das auf eine Dinosaurierausstellung hinwies, versuchte ich also, schwankendes Dreirad, zappeliges Kind und mich selbst sicher an der Hauptstraße entlang zu navigieren. Bis wir zum Zenbrastreifen kamen, an dem etwa 13 Autos darauf warteten, dass wir die Straße zügig überqueren würden. Vielleicht hab ich ein bisschen gezerrt - jedenfalls ließ meine Tochter kurz nachdem wir die Straße betreten hatten, das Spängchen fallen. Ich merkte es, war aber unter der Anstrengung die andere Seite zu erreichen, versucht, das Geschehen zu ignorieren.
Nicht mit meiner Tochter. "Mein Späääängchen!!!", hob sie an.
Resigniert schob ich das Dreirad mit einem kurzen Ruck auf den
Bürgersteig, tat so, als ob kein einziges wartendes Auto ins Sicht wäre,
hetzte mit meiner Tochter zurück auf die andere Seite und ließ sie das
Spängchen aufheben. Ein Fehler! Gerade wieder zurück beim Dreirrad,
schallte es wie ein akustisches Déjà-Vu an mein Ohr: "Mein
Spääääängchen!!!" Ungläubig drehte ich mich um, und sah das Corpus
Delicti wieder auf der Straße liegen. Diesmal mitten auf dem
Zebrastreifen. Ich nahm die Hand ruckartig von der Dreirradlenkstange,
um meine Tochter wieder auf den Zebrastreifen zu schleifen, da
passierte es: Mit einem fast unhörbaren Geräusch folgte das Dreirrad
seinem Übergewicht und ließ sich Lenkstange voran einfach fallen: AUF
DIE ERDBEEREN!!! Denn Rest kennt ihr.
Meine
Tochter reagierte auf meinen Anfall so souverän, wie man es von einer kleinen
Erziehungsberechtigten für zwei gestresste Mittdreißiger nur erwarten
kann. Sie sammelte mich ein, zog mich von der Straße, ließ mich das
Dreirad raufrichten und setzte sich kommentarlos auf den Sitz. Fünf
Minuten später waren wir zu Hause. Zum Abendessen gab es Erdbeerbrei.
Sie werden so schnell groß, ich finde es gut wie Deine Tochter Verantwortung für Dich übernimmt. Muss sie auch, wenn sogar minimalste Physikkenntnisse in den Wind geschossen werden und die Schuld auch noch auf Personen mit rudimentärer Hand-Augen-Koordination geschoben wird.
AntwortenLöschenEinfache Lösung: Keine Kompromisse, kein "Keine Energie zum Diskutieren".
Und vor allem: Lieferservice, raus nur noch zum Spass haben.
Ach, ich warte einfach auf den Tweet Deiner Tochter, da steht das sicherlich
alles objektiver drin. Vegis 224