Also, ich bin ja irgendwie vom Fach. Hab in grauer Vorzeit mal Pädagogik studiert UND abgeschlossen. Jahaaa! Aber es hatte wohl seinen Grund, dass ich den Schwerpunkt auf Erwachsenenbildung gelegt habe.
Trotzdem hatte ich eine diffuse Idee davon, wie ich denn mein Kind
erziehen wollte, bzw. vor allem wohin: Zu einer selbständigen, toleranten,
selbstbewussten, engagierten und natürlich glücklichen Schülersprecherin. Als
ich kürzlich ein Goldenes Ehepaar fragte, welche Werte sie ihren drei Kindern
mitgegeben haben, sagten sie „Benehmen“ (sonst nichts). "Hmm!", guckte ich etwas betreten.
Aber was ist eigentlich passiert?
Also, erstens erzieht man ja sein Kind nicht allein. Das ist
die Krux. Drücken Sie mal ihre rudimentären Vorstellungen von ausgedehnten
Waldtagen mit einem ausgeprägten Stubenhocker durch. Oder die Idee, das Kind
ohne mobile Endgeräte erziehen. Stieß sich ebenfalls an der Realitätskante. Das
ein ITler und eine Online-Redakteurin ein Kind ohne Pad-, Pod- und Phone-Affinität
aufziehen ist eben eher unwahrscheinlich.
IIIIICH hab ja als Kind kaum ferngesehen und meinen ersten
CD-Player bekam ich mit 18. Okay, vorher hatte es auch wohl noch keine gegeben.
Oder fast! Aber dafür hatten mein Bruder und ich neben unseren eigenen Zimmern ein riesiges
Spielzimmer. Mit 'nem Regal aus einer alten Bäckerei vom Boden bis zur Decke
voll mit buntem Zeug. Das wünsche ich meiner Tochter auch. Spielsachen satt.
Dieser Wunsch kollidiert wiederum mit unserer
Quadratmeterzahl und den Ansichten meines Mannes: „IIIIICH habe meine ganze
Kindheit durch nur drei Playmobil-Figuren und zwei Star Wars-Figuren gehabt und
das Wars, äh war’s!“ Kein Wunder, dass er mit Ohren und Nase gleichzeitig wackeln
und seinen Arm zweimal um die eigene Achse drehen kann. Mit irgendwas muss man
sich ja beschäftigen. Jedenfalls muss unsere Tochter nun für jedes Spielgerät,
das dazukommt, eins aussondern.
Was noch? Gesunde Ernährung. Sind wir eigentlich beide für,
aber unsere Tochter nicht. Obwohl, wenn man es genau betrachtet, ist sie
eigentlich Veganerin: "Ich will Nudeln mit Soße, aber ohne Soße!". Das mit der zuckerfreien Ernährung klappte bis eineinhalb.
Das mit der endgerätfreien Erziehung immerhin fast bis zwei. Dann brach sie sich das Bein
und (wir) musste(n) vier Wochen Gips bis zur Hüfte (er-)tragen. Da gibt man
dann schon mal auf.
Auch die Idee, sie in einen multilingualen, integrativen Montessori-Wald-Kindergarten
mit naturwissenschaftlich-anthroposophischem Bildungsansatz zu schicken,
mussten wir begraben. Hey, wir HABEN einen Kitaplatz, was will man heutzutage
mehr. Und dann: Mandarin lernen am Nachmittag, Reitstunden für Kleinkinder, Zirkusschule?
Wann das denn noch alles?
Eine Dreijährige, die seit ihrem zweiten Geburtstag von acht bis halb
drei in die Kita geht und danach von fünf engen Familienmitgliedern betreut und
aufgezogen wird. Ein Kind, das jeden Tag vor die Tür kommt, Laufrad fährt wie
der Teufel und problemlos drei Kilometer marschiert, wenn auch über Asphalt.
Eine Entdeckerin, die einen Marienkäfer von einer Feuerwanze und eine Eichel
von einer Haselnuss unterscheiden kann, allerdings auch „Die Sendung mit der
Maus“ von „Jonalu“ und Firefox von Safari. Eine Leseratte, die etwa hundert Bücher besitzt und gefühlt alle
auswendig kennt und die gleichzeitig das Tablet so virtuos bedient, dass die
Oma runde Augen kriegt.
Ich glaube eher nicht, dass sie mal Schülersprecherin wird. Aber authentisch wird sie sein, tolerant
und sozial, großherzig und lustig. Ganz einfach, weil sie es immer
schon war. Und Glück? Das können wir ihr wünschen. Erkennen muss sie es selbst.
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